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Pétanque ohne Aponeurose in Montenegro

HB 24.07.2019

Pétanque ohne Aponeurose in Montenegro  

Die Schweiz im Medaillenspiegel vor Russland, Canada und den USA! In welcher Sportart ist denn solches möglich? Der Titel dieser Geschichte lässt auf etwas Medizynisches schliessen. Es tönt zwar wie Apokalypse, aber ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Es handelt sich um die jährlich stattfindenden Sportweltspiele der Medizin, eine inoffizielle WM aller Medizinalberufe, aber im sportlichen, nicht beruflichen Sektor. Wer jetzt denkt, das ist etwas für die Jungen, sieht nur die halbe Wahrheit; denn die mittelalterlichen und uralten Kategorien sind genauso gut besetzt. An meiner letzten Teilnahme berichtete ich vor zwei Jahren von der Erfahrung an der gleichzeitig stattfindenden Marseillaise mit über 13‘000 Pétanque-Spielern beider Geschlechts. Die Geschichte im überraschend  wunderschönen Budva in Montenegro geht in eine ganz andere Richtung.

 

Budva

 

Mit Pétanque-Kugeln, Tennisschläger und Nagelschuhen angereist, ist der erste Höhepunkt der Hundertmeter-Sprint. Dass zwischen der Startnummern-Ausgabe und dem Wettkampf nur gerade eine Viertelstunde liegt, ist ein kleiner Schönheitsfehler; denn  völlig überraschend werden zuerst die Kategorien der Alten aufgerufen, und mit 67 Jahren gehöre ich mittlerweile zur zweitältesten Gruppe. 

So geht’s schon bald mit angezogenen Nagelschuhen an den Start. Da in dieser Saison trainingshalber erst dreimal geschnürt, wären letztere wohl besser in der Tasche geblieben, da nach siebzig Meter ein Blitz in die Fussohle einschlägt. Ein ganz kurzes Zögern und dann die Gewissheit, dass der Fuss bei nahezu 30 km/h hält, lassen mich auch die Restdistanz noch überwinden, und die Zeit von 13.19 wird nicht nur mit einer Medaille vergoldet, sondern wäre auch gleich noch Schweizer Rekord bei den ü 65, erkauft allerdings mit einer gerissenen Plantaraponeurose, der Sehnenplatte an der Fussohle.    

Trotz des wiederkehrenden Siegs der Ärzte in der Sendung „Ärzte vs Internet“ im Schweizer Fernsehen entscheide ich mich für Dr. Google, der beruhigend versichert, dass nichts Operatives indiziert ist, und die Mitteilung, dass Payton Manning, der berühmte Quarterback der Denver Broncos trotz Riss der Plantaraponeurose kaum ein Spiel im American Football verpasste, lässt uns die Pétanque-Kugeln einpacken, um am gleichen Abend auf der sogenannten Bocci-Bahn den nächsten sportlichen Höhepunkt zu absolvieren.

Das mit den neun metallenen Pétanque-Kugeln war ohnehin spannend; denn wir erwarteten schon vor dem Abflug mit der Montenegro Airlines in Zürich eine Bombenstimmung beim Einchecken, doch scheinen Metallkugeln in einem Koffer der Normalität zu entsprechen.  

Silvana Backes und Andreas Trummler

Unsere Triplette mit den Turniersieg

 

Unsere Triplette ist also bereit, das Team besteht aus meiner Frau, dem altbewährten Tennis-Doppelpartner und SGAT Pétanque Mitglied Andreas Trummler und mir.

Das auf dem Programm stehende Pétanque kann beginnen, doch realisieren wir, dass die fünfundzwanzig Meter lange Bocci-Bahn viel eher einer italienischen Bocciabahn als einem französischen Boulesplatz entspricht, und dass ausserdem Kugeln bereitgestellt sind, die deutlich grösser und doppelt so schwer sind wie unsere eigenen, unnötigerweise eingeflogenen. Die beiden französischen Teams, gegen die wir in den beiden Vorrunden äusserst knapp verlieren, und die später im Final um Gold und Silber kämpfen, belehren uns, dass diese Sportart in Frankreich Pétanque Lyonnaise heisst, und die Kugeln mit viel Anlauf geschossen werden.

Für mich ist dies so etwas wie ein schwarzer Schimmel; denn Pétanque stammt ja bekannterweise ab von den Wörtern pieds tanqués, also fixierte Füsse. So wurde schliesslich Anfangs des 20. Jahrhunderts in La Ciotat das Pétanque erfunden, als der an Rheuma leidende Jules le Noir nicht mehr gehfähig war. Man nehme mal Anlauf mit zwei fixierten Füssen und einer gerissenen Sehnenplatte am Fuss! Die Medaille im Pétanque wird deshalb an die Algarve verschoben, wo in einem Jahr die nächsten Medigames ausgetragen werden.  

Hansueli Backes